2001 DEM DETAIL GEWACHSEN SEIN

Jean Odermatt zu Peter Kneubühler

 „Mehr Licht“ – oder Geduld. – Man sagt, dieser Mann habe kein Licht gehabt in seinem Zimmer, nur eine winzige Petrollampe – wie kann man da was sehen, wie soll man was tun?

Ich aber sage, dass dieser Mann Gläser geschliffen hat bei seiner kleinen Lampe (im dunklen Holland), Linsen, für Ferngläser und Mikroskope.“

Ludwig Hohl, Die Notizen,, XII, 91

Peter Kneubühler war Kupferdrucker. Er ordnete und gestaltete die Skizzen und Entwürfe unzähliger Künstler, die ihn aufsuchten, gab ihren Vorstellungen Gestalt mit seinem Medium, das er kraft unzähliger Herausforderungen im Laufe der Jahre immer virtuoser beherrschte.

Vor bald 20 Jahren habe ich Peter in seinem damaligen Atelier an der Kreuzstrasse erstmals besucht. Nicht das Phänomen der manigfaltigen Reproduzierbarkeit, sondern jenes der bewussten Wiederholbarkeit einer Arbeit liess mich mit dieser Drucktechnik beschäftigen. Mein Interesse galt nicht der dutzendfachen Auflage, die mit dieser Technik entstehen konnte, sondern dem Wissen über einen Herstellungsprozess: jene zahlreichen Details, die sich im Laufe einer Zusammenarbeit entwickeln konnten, und die ein Ganzes zu schaffen vermochten – ein Bild. 

Sein Handwerk hatte Tiefe – will heissen Einsicht in die verborgenen Möglichkeiten des Kupferdrucks. Peter wusste sich zu disziplinieren in seinem Handwerk, in seinem Umgang mit den Platten, im Vorgang des Ätzens, in der Beurteilung der Viskosität der Farben, in der Wahl und der Behandlung des Papiers und im Zusammenspiel mit den Druckpressen. Er entwickelte diese seine Komplizen auf einem langen Weg der Gewissenhaftigkeit und pflegte dabei eine der anspruchsvollsten Disziplinen: die lange Geduld.

Mehr wohl als alle seine Künstler kannte er die Tiefe des Kupferdrucks und konnte die Intentionen eines künstlerischen Werkes mit der Tiefe seines handwerklichen Mediums verbinden. In seiner Hingabe und seinen Ergebnissen blieb er unerreicht. 

Als ich einst Peter Stiefel – seinem langjährigen Mitarbeiter und selbst Künstler – einige der neuesten Drucke aus einer gewaltigen Serie von über hundert grossformatigen Fotoätzungen hinlegte, kommentierte er uneingeschränkt: „Er druckt wie ein Gott.“ 

Peter verstand sich besonders mit jenen Künstlern, deren Arbeit ebenfalls von handwerklicher Präzision getragen war, die um die Strenge (und Anstrengung) eines Hand-Werks wussten, die sich selbst dem Ringen um das Detail zu stellen wagten.

Obwohl sich dabei oft auch eine (unausgesprochene) Komplizenschaft zwischen ihm und dem auftraggebenden Künstler entwickeln konnte, liess er sich nur ungern über die Schulter und in seine Geheimnisse blicken. Hatte er die Intentionen seines Künstler-Kollegen erkannt, machte er sich auf seinen eigenen Weg, suchte nach Lösungen, die er dann – nach oft nächtelangen unruhigen Suchprozessen – mit leisem Stolz seinem Künstler zu präsentieren verstand. Lösungen, die in ihrer handwerklichen Präzision selbst Kunstwerke waren, ohne diesen Anspruch aber explizit zu erheischen. Schmunzelnd stand er alsdann daneben und präsentierte seinen neuesten Andruck. Der neugierige Betrachter, vorerst noch staunend vor der Lösung, ahnte nicht, dass der Drucker – hierin ganz Alchemist – noch gar nicht zufrieden war und nach nächsten Lösungen rang.

Doch sein listiger Blick machte dem genauen Beobachter unmissverständlich klar, wer die eigentlichen Kämpfe, das Ringen um die technische Lösung ausgestanden oder noch auszustehen hatte. Es war seine Arbeit, zu der ihn der Künstler mit seinen Vorlagen inspirierte.

Schönheit ist im wesentlichen eine Frage der Qualität. Darin unterschied er sich in keinerweise von seinen bei ihm Rat und Druck suchenden Künstlern. Die Hingabe an sein Handwerk verstand er durchaus als Kunst. Sein Handwerk betrieb er mit demselben Anspruch wie der Künstler mit seiner Kunst: Kompromisslos, konsequent. Dass damit nicht selten auch etwas Eitelkeit verbunden war, brachte ihn auch menschlich wieder nahe: er wusste um seine Könnerschaft, er genoss seine Resultate und die staunenden Gesichter, Erfolg wurde gefeiert, der Zapfen ploppte, sein Gesicht lachte verschmitzt. Kein anderer Zeitgenosse hat dieses Handwerk auf diese Höhe gebracht und mit dieser Hingabe betrieben. Darin war er letztlich der eigentliche Lehrmeister.

„Der Glanz bricht aus dem Detail hervor und schafft das Ganze.“ 

Ludwig Hohl, Vom Erreichbaren und vom Unerreichbaren, in: Die Notizen II, 176