2005 HOCHVEREHRTE GESELLSCHAFT DER ALTDORFER JAKOBINER!

 Altdorf den 25. November, am Vorabend des Ersten Advents 2005

Ich stehe heute abend sozusagen als Auswärtiger vor Eurer erlauchten Gesellschaft und mir wird die Ehre zuteil, ein Mitglied der Jakobiner, einer der Euren zu werden.

Da stellt sich natürlich sofort die Frage: Wie wird man Jakobiner?

Da gehören sicher einmal die Attribute des Jakobspilgers dazu:

Gutes Schuhwerk, eine Trinkflasche, ein breiter Hut gegen Sonne und Regen, sicher auch einen guten Mantel – die Pelerine des Pilgers eben – und einen Stab als Gehhilfen, als Verteidigungs- und Messinstrument 

Nun: Die Schuhe hätte ich, bin ich es ja gewohnt weite Wege zu gehen und dabei die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Und die vielen weiten Wege haben mich auch gelehrt, stets genug Tranksame dabei zu haben und dennoch trinkfest zu bleiben.

Da wäre dann der Hut: gegen Sonne und Regen ist er zwar praktisch, aber da gibt es ja nicht selten noch ganz Anderes, was einem auf das Haupt fällt, und da genügt oft auch der breitkrampigste Hut nicht mehr, dann bedarf es schon der ganzen Pelerine, damit alles, was da auf einen herunterfällt auch nicht nass macht.

Schliesslich bleibt noch der Stab, um die Orientierung zu finden. Orientierung finden heisst ja manchmal auch: Ordnung schaffen, Übersicht finden. Und auch das bin ich ja mittlerweile gewohnt: mit dem Stab auch mal Licht unter die Decke zu bringen und die Dinge in einem anderen Licht zu sehen und sie neu zu ordnen.

Nun also: mit den Attributen eines Jakobpilgers könnte ich Euch schon dienen. 

Aber da gibt es noch etwas anderes, etwas was mir für die Eigenschaften eines Jakobiners noch weit wichtiger scheint, als bloss seine äusserlichen Attribute:

Ich meine, die Geschichte des Heiligen Jakobus, die Geschichte des Jakobsweges hat hierzu eine Antwort vorgezeichnet:

Es ist die Haltung des Jakobiners selbst, seine Unbeirrbarkeit, diesen seinen Weg zu gehen und unablässig sein Ziel zu verfolgen. 

Es gibt ein Gedicht des Spaniers Antonio Machado, ein poetischer Text, der meiner Meinung nach die Haltung des Jakobiners treffend charakterisiert:

„Wanderer, es sind deine Spuren, der Weg ist es und nichts weiter. Wanderer, es gibt keinen Weg, der dir vorgezeichnet ist: Man erschafft den Weg im Gehen. Im Gehen erschafft man den Weg, und wenn man unterwegs bisweilen zurückblickt, so sieht man ihn in der Vergangenheit  wieder verschwinden.

Wanderer:

Es gibt keinen markierten Weg. Es gibt nur die Kielspuren eines Schiffes im Meer.“

Soweit der Jakobsweg, wie ihn der Spanier Antonio Machado sieht.

Und damit sind wir auch unversehens bei der Schiffahrt gelandet. 

Jeder Weg führt einmal an die Gestade eines Wassers, denn mit den Weiten des Wassers schöpft der Mensch wieder Bewegung und Kraft.

Die Spuren des Jakobweges sind also jenen der Schiffahrt nicht unähnlich.

Der Weg verliert sich in den Weiten des Wassers, die Wogen spülen jede Spur wieder weg. Das stete Wegziehen und Wiederkommen, die Bewegung des Wassers selbst: das macht den Weg aus.

Dieser stete Wandel hat offenbar viele Anwohner des Sees immer auch bewegt und sie – so wage ich das heute in Altdorf zu sagen – zu dem gemacht, was man als Flüeler bezeichnet: weltoffen, dem Ernst der Arbeit zugewandt wenn sie in See stechen, lustig fröhlich und zum Festen gestimmt, wenn sie wieder heil zurückkommen.

Und in Flüelen enden die Wege; ab hier übernimmt der See die Führung. So ist mein Heimatort auch mit jenem westgalizischen Cap Finistère am Ende des Jakobsweg verwandt: ein Ort wo die bekannten Wege enden und wo das Unbekannte beginnt.

Und wenn wir schon von Wegen, Orten und Verpflichtungen sprechen: es gibt in unserem Kanton zwei Orte, wo man weit über den Kanton hinauszusehen vermag: am See und auf dem Berg. 

See wie Berg gehören zu den markantesten Positionen unseres Kantons. Und die Zukunft des Kantons hängt weitgehend davon ab, wie sehr wir von unseren Positionen aus unseren Weitblick wieder zu stärken vermögen, uns aufmachen können, unseren eigenen Weg zu gehen – klar und konsequent, aber auch bereit, den Schritt ins Unbekannte zu wagen.

So bringe ich Euch heute nicht nur die Kielspuren der Schiffahrt hinauf nach Altdorf, sondern auch Flüelen selbst als Cap Finistère, als Ende der Alten Welt, als Ende des Jakobsweges wie aber auch als Tor zur Neuen Welt.

Mit diesen beiden Gaben bedanke ich mich bei Euch für die Aufnahme in Eurem Kreise und freue mich auf den Abend mit Euch!