1989 „Gibt es in der Schweiz eine Kunstkritik?“

REFERAT Anlässlich der Tagung der Kunstzeitschrift PARKETT 4./5. Febr. 1989 zum Thema: „Gibt es in der Schweiz eine Kunstkritik?“

Verehrtes Publikum Künstler und Kunstkritik – eine alte Hassliebe, ein Geschäft von Erwartungen und Enttäuschungen beiderseits. Ich will mich jedoch nicht zu diesem Spannungsfeld äussern – obwohl ich mich dazu längere Zeit befasst habe. Ich halte es für unser Thema sinnvoller, von meinen eigenen Erfahrungen als Künstler im Umgang mit Kunst (und nicht mit Kunstkritik) auszugehen und daraus Rückschlüsse zu ziehen auf Möglichkeiten und Grenzen von Kunstkritik. Und hier in der Höhle voller Kunstkritiker will ich es gleich vorwegnehmen: Die Kunst braucht keine Kunstkritik. Die Kunstkritik ist zwar eine Bemühung – manchmal sogar eine ernst gemeinte – doch sie bezieht ihre Existenzberechtigung in erster Linie aus einer Hilflosigkeit, aus einer Wort- und Theoriegläubigkeit des Publikums und – das will ich betonen: auch von Künstlern. Alle diese Bemühungen – die ernsten wie jene des „Amüsemangs“ – gehen von falschen Vorraussetzungen aus: dass nämlich Kunst erklärungsbedürftig und erklärungsfähig sei. Wer unter Ihnen ist denn überhaupt so sicher, dass Kunst irgend etwas bedeutet, dass Kunst überhaupt Sinn hat? Ich habe da meine Zweifel. Mir scheint, Kunst stelle Bilder hin wie die Natur Pflanzen, m. a .W. Kunst ist eine Art von Natur, isst organisches Leben und breitet sich entsprechend aus. So gesehen braucht Kunst keinen Sinn und sie braucht noch viel weniger eine Kunstkritik. Der Nicht-Künstler, d.h. der nicht schöpferische Mensch macht sich ein falsches Bild über die Wurzeln des Gestaltungsprozesses, geht von Annahmen aus, die vermutlich auch der Kunstkritik zu ihrem unseligen Dasein – ich meine das wörtlich – verholfen hat: Was nämlich im Künstler drin „will“, ist nicht Ausdruck seines persönlichen Willens. Der Künstler mag zwar für sich verschiedenste Motivationsquellen reklamieren, doch nicht er, nicht sein Ich ist der letztliche Antrieb, DAS WERK „WILL“. Das Werk führt ein eigenes, manchmal sehr kraftvolles, dann wieder abwesendes, aber immer unerbittliches Eigenleben. Der Künstler selbst spielt da Vollzugshilfe, doch ist im ganzen Prozess nichts unwesentlicher als seine Biographie. Sie kann Hemmnis sein oder Fördernis – mehr nicht, und schon gar nicht Anlass! Dem Werk wohnt eine Seele inne, nicht aber eine Persönlichkeit. Sicher: von Seiten des Künstlers bedarf es eines langen und gewissenhaften Weges, bedarf es Konzentration und Aussschliesslichkeit. (In diesem Zusammenhang wäre etwa von einer zentralen Schwierigkeit des Künstlers zu reden: von seiner Ungeduld gegenüber dem organischen Wachsen des Werkes, welches sich mitunter so eigensinnig gebärdet und der Kritik und dem Publikum, welche diese Ungeduld noch bedrohlich anheizen können, mithin Werke gefährden wenn nicht gar zerstören.) Vincent van Gogh umreisst diesen Vollzugsgehilfen prägnant: „Die Natur sagt mir etwas und ich werfe es nieder in Stenographie.“ Das hat etwas Definitives, etwas Aussschliessliches – und gerade dann, wenn der Kampf ums Stenogramm kein Ende nehmen will! In diesem Moment strahlt die Kunst, das einzelne Werk etwas von einem feurigen Rad wider, das durch die Welt eilt (ein Bild von Ludwig Hohl) – und husch sucht der sinnhungrige Intellekt Geheimnisse zu entschlüsseln und produziert beflissen Antworten. Das mag Publikum und bisweilen Künstler trösten – vor allem entfällt dann die Mühsal des genauen Hinsehens. Doch: Das Beste wird nicht durch Worte klar (eine Formulierung von Goethe). Im Satz Van Goghs, der für mich exemplarisch einen Schöpfungsmoment von Kunst umreisst, wird eines deutlich: Kunst ist selbst schon eine Vermittlung. Braucht dann das Werk noch Trittbrettfahrer, wo doch auch der Baum keines Botanikers bedarf, um zu wachsen! Ich wiederhole mich: Die Kunstkritik ist für das Werk überflüssig. Ich halte die Kritik für ein Gesellschaftsspiel, einen psychohygienischen Faktor im Spiel Künstler – Publikum. Was da hochtrabend unter der Etikette „Kunstkritik“ – also sozusagen als Metakunst dahertrabt – bisweilen eher keucht – das sind Theoriehülsen des Zeitgeistes. Das Werk schafft sich seine Resonanz selber, und manchmal ist das vorerst weder heute noch morgen. Und an die Adresse wortlastiger Vermittler, stets begierig, etwas zu lancieren, frage ich just danach: was war denn gestern noch?, was wäre morgen?, mich dabei an Francis Bacon erinnernd: „Ich glaube, dass nur die Zeit über die Malerei entscheidet. Kein Künstler weiss zu Lebzeiten, ob das, was er macht, auch nur den geringsten Wert hat, weil es meiner Ansicht nach mindestens 75-100 Jahre dauert, bis sich das Wesentliche von den Theorien trennen lässt, die man um das Werk herum aufgebaut hat. Ich glaube, die meisten Leute sehen ein Gemälde durch die Lupe der Theorie an, die daran haftet, und nicht so, wie es wirklich ist. Der modische Trend legt nahe, dass man von bestimmten Dingen angetan zu sein hat und von anderen nicht. Das ist der Grund, warum sogar erfolgreiche Künstler – und gerade erfolgreiche Künstler, könnte man sagen, überhaupt keine Vorstellung davon haben, ob ihr Werkgut ist oder nicht, und sie werden es auch nie wissen.“ Francis Bacon im Gespräch mit David Sylvester In einem Punkt nehme ich jedoch Kunstkritik ernst: dort wo sie selbst schöpferische Tätigkeit wird, wo sie ans Trapez geht ohne vorbehältliche Theorienetze, dort wo sie ringt. Da wird sie selbst Werk, geht ein Stück gleichen, einsamen Weges. Doch wie selten ist da jemand zu finden: noch nicht unterwegs, rennen sie schon wieder heim. Dem nächsten Date oder sie Abschlusszeiten der Redaktion rufen oder das Publikum (man will ja schliesslich das Publikum dort abholen, wo es steht). Und da treffen wir sie wieder; diese Ungeduld, diese Unfähigkeit, warten zu können, geschehen zu lassen. Was bleibt ist das Werk, das weiterhin abseits der grossen Strassen horcht, dorthin, wo zwar andere auch etwa entbehren – ohne es jedoch zu wissen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld!