1997 REDE DIPLOMFEIER ZHW 11. JULI 1997

 

Liebe Diplomandinnen und Diplomanden, werte Angehörige, liebe Kollegen, meine Damen und Herren,

ein Schlusswort, ein Schlussatz ist immer auch eine Art Wegzehrung, eine letzte Aufmunterung.

Vorsätze wurden beizeiten und zur Genüge gefasst, damals, vor und zu Beginn des Studiums, alsbald wieder revidiert, ab und zu gar auch vergessen.

Heute abend ist Zeit für Nachsätze. Doch dazu bleibt uns nur mehr wenig Zeit.

Ich fasse mich kurz - ein Grusswort, ein Abschied ist angesagt, bevor Sie alsbald mit dem Diplom aus den Händen unseres Rektors das Weite suchen.

Heute verlassen Sie offiziell diese Schule. Was nehmen Sie mit, was haben Sie verstanden, mit welchem Wissen gehen Sie in Ihren nächsten Lebensabschnitt?

Ich meine: Worauf es ankommt, ist nicht, kolossal viel wissen, sondern zur richtigen Zeit das Richtige wissen. Sehr viel gleichzeitig wissen ist Sache der Bibliothek; der Mensch ist aber keine wandernde Bibliothek. 

Und die Bibliothek kann niemals als Wissen genügen. Der Raum des menschlichen Wissen gleicht nicht dem Schatzraum einer Bank, keinem Ort, in dem man sichere Werte sammelt.

Der Prozess des Lernens ist stets mehr als das Gelernte.

Wesentlich ist, dass wir unsere Kräfte vereinigt nach einer Stelle lenken, nach derjenigen, wo wir unser höchstes Resultat bringen können. Es ist diese Konzentration die wesentlich ist.

 Doch wo liegt jene Stelle, in der unsere eigentliche Kraft liegt - ich sage bewusst Kraft, nicht Macht (im Wissen liegt allenfalls Macht, nicht jedoch Kraft).

Eine Antwort darauf läge sehr nahe und bekanntlich sollte man das, was man verstanden hat - erkannt hat (was nicht identisch ist mit Wissen) in einem einzigen Satz ausdrücken können.

 Meinerseits ist es ein einziger Satz, den ich Ihnen mitgeben will - heute an diesem Übergangsritus in Ihren nächsten Lebensabschnitt. 

Dieser Satz hängt - nicht ohne Grund - oben in der Bibliothek unserer Schule, etwas verborgen hinter all den vielen Büchern, hinter dem vielen Wissen und nicht wenige von Ihnen werden ihn wahrscheinlich kaum beachtet haben.

 Es ist ein Satz, der jeden von uns an seinen eigenen Ursprung erinnert, an den Kern und an den Ausgangspunkt jeder menschlichen Bemühung - sei es jener des Entdeckers, des Erfinders, des Forschers oder des Unternehmers.

 Nichts ist mehr eigen als der Traum.  

Das Schöpferische, also die Konzentration auf sein eigenes höchstes Resultat, muss sich im Traum halten. Unterwegs in seiner eigenen Biografie ist nur die Kraft massgebend, mit der man diesen seinen Traum bewahren kann. 

 Was morgen Wirkung und Tat ist, ist im Voraus nicht selten Traum, will Bild sein von einem Land, an dem man selber baut. 

 So war Kolumbus auf seiner Fahrt: er sah nichts. Nur ein Traum führte ihn zu einem anderen Erdteil: seine Vorstellung von einem Land und sein unerschütterlicher Glaube an diese Vorstellung. 

 Ich meine nicht blinder Wahn, ich meine nicht zuckersüsse Versuchung; ich meine: die tiefe eigene innere Sehnsucht, die die meisten von uns in ihrer Kindheit noch verspürt haben bevor sie ihnen die Welt der Erwachsenen vernünftigerweise ausgeredet hat. 

Gerade darin liegt der tiefere Grund jeder Sinnkrise: im Verlust des eigenen Traumes, im Versunkensein in fremde uneigentliche Fetzen - in Manifestationen der Nervengereiztheit und der Konvention.

Wer zu seinem eigenen Traum noch eine Brücke bauen kann, dem wünsche ich als Wegzehrung von der Schule, dass sich sein eigener Traum in seine Biografie verweben mögen.

 Nichts ist einem mehr zugehörig als der eigene Traum. 

Diesen wünsche ich ihn Ihnen für Ihre Zukunft.