1984 WAS KANN DAS MANAGEMENT VON DER KUNST LERNEN ?

Text Hauszeitschrift Schweizerisches Institut für Betriebsökonomie

Eine erste Antwort sei gleich vorweggenommen: nichts! Und darüber hinaus? Kunst ist ein unberechenbar Geschöpf, ihren Stellenwert in unserer Zeit zu erörtern bereitet uns sichtlich Mühe. Ergötzt sie uns, zollen wir ihr Lob, wird sie sperrig, entziehen wir uns ihrem Einfluss. gerade jene Kunst, die sich nicht im Ausdruck schönen schnellen Scheins erschöpft, sondern als Schöpfung Folge ernsthafter, bisweilen zäher Auseinandersetzung ist, haftet das Odium des Neuen, Unbequemen, aber auch oft des Unverständlichen an. Damit beginnen unsere Schwierigkeiten. Schwierigkeiten, die – wie mir scheint – symptomatisch sind für die gegenwärtige Situation unserer Kultur überhaupt. Kunst ist ein Teil unserer Kultur, jenes Nährbodens tagtäglichen Tuns in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Doch eben diese Voraussetzungen unseres Erlebens und Tuns verlieren zunehmend ihre Verbindlichkeit und Prägnanz. Was sie uns konkret bedeuten, was sie im einzelnen Leben bewirken sollen, ist uns in dem Masse unklar geworden, als das Einheitsprinzip der Kultur – jener kollektive Rahmen, der während Jahrhunderten in Tradition und Religion gefasst war – aufgehört hat. verbindlich und glaubwürdig zu sein. Damit verbunden ist ein Verlust an Lebendigkeit dieser Vorstellungen und als logische Konsequenz deren „Endablagerung“ im musealen Raum, nur noch hinter Vitrinen zugänglich und nicht mehr die tägliche Praxis befruchtend. Die zunehmende Arbeitsteilung – als Prozess von Rationalisierung (in unserem Tun) und Entmystifizierung (in unserem Denken) – hat uns kulturell in einem eigentlichen Sinne Zerstreuung gebracht. Die uns allen bekannt Situation der Auffächerung der Welt in viele Einzeldisziplinen hat dem modernen Menschen das einheitliche Weltbild entzogen.

An deren Stelle ist nun aber nicht etwa ein neuer Gesamtentwurf getreten, sondern ein seltsames Konglomerat aus weltanschaulichen Bruchstücken, neuen Einsichten, unüberprüften Ansichten usf. Die Sinnorientierung im Ganzen – die eminente Aufgabe einer jeden Kultur – ist soweit verlorengegangen, dass selbst die Fragestellung nach dem Sinnproblem in der heutigen Gesellschaft als überholt erscheint (vgl. das „Weltbild“ vieler heutiger Jugendlicher ). Weder Religion noch Philosophie bieten eine Antwort, die noch das Ganze unserer Probleme zu fassen vermöchte. Im besonderen hat die Religion ihren tieferen Sinn als Ort und Rahmen des Umfassenden (auch als Gefäss des Numinosen und Irrationalen) verloren, ist selbst zu einer rational geprägten Institution neben vielen anderen geworden. Durch diesen Verlust erfasst der Horizont des Menschen in der heutigen Kultur nicht mehr die Weite und Ganzheit, umfasst nicht mehr das Rationale und Irrationale der Welt, sondern nur noch deren rationale Hülle, während für die „innere Seite“ sich eine Vielzahl individueller Symbolbildungen in dem Masse breit machen, wie sie gleichzeitig auch unverbindlich oder sogar von erfundener Nichtigkeit sind. Der alleingelassene, der trotz vielfältigster „Patentlösungen“ auf seine Fragen nur mehr unzulängliche Antworten findet, hört dann nicht selten auf weiterzufragen und flüchtet sich in eine nur das nächstliegende berücksichtigende Auffassung, wird skeptisch und egozentrisch – oder sucht mit einem Kopfsprung die Lösung aller Probleme in Kollektivüberzeugungen. Charakteristisch für diesen Prozess kultureller Desorientierung ist der wachsende Graben zwischen Wissen und Glauben und – im Individuum selbst – zwischen Fachwissen und Persönlichkeitsentwicklung. Das in der Welt sich zu behaupten suchende Individuum strebt in einer Anhäufung zumeist formalisierten Wissens voran, währen gleichzeitig seine ganze übrige Entwicklung zu stagnieren droht. Diese Kluft scheint in unserer Kultur verständlich: Das in vielen Teilbereichen unserer Gesellschaft erforderliche Fachwissen ist weitgehend formalisierbar, mithin erlern- und überprüfbar, nicht aber die Entwicklung der Persönlichkeit angesichts der brüchig gewordenen kulturellen Vorgaben.

An Stelle der tradierten festen Massstäbe wird persönliches Engagement erforderlich, ein Sich-Aussetzen in einem eigen-sinnigen Entfaltungsprozess. Es ist dies ein Lernprozess auf eigene Rechnung und vorerst ohne unmittelbaren Nutzen. Und just darin finden sich Parallelen zum Prozess künstlerischen Lebens und Arbeitens: Der Künstler in seinem Werk kann nicht nur, er muss „auf eigene Rechnung“ denken und arbeiten. Dabei helfen ihm keine Regeln und vorgegebenen Lösungen (wohl aber ein Bewusstsein der gegebenen Traditionen). Seine Arbeit konstituiert sich durch gelebte (und ins Werk umgesetzte) Sensibilität seiner Umgebung und seinem Material gegenüber. Kunst erschöpft sich nicht im vielzitierten „Können“, sondern bedarf der lebendigen und wachsenden Persönlichkeit, wie sich dies etwa im hohen Ideal klassischer chinesischer Kunst und Kultur ausdrückt, das gleichbedeutend ist mit hoher Intelligenz, tiefer Mediation, Dialog und Diskussion. Künstlerische Entwicklung ohne gleichzeitige Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist undenkbar, die beiden sind unabdingbar miteinander verknüpft. Dies steht im krassen Gegensatz zu Auffassungen in anderen beruflichen Zweigen. Wie wird doch vielerorts noch der Auffassung gehuldigt, dass berufliche Entwicklung nicht zwingend mit persönlicher Entwicklung einhergehen muss, dass „Prioritäten gesetzt“ werden müssen! Was für einen Graben trennt dann in der Folge viele Repräsentanten des wirtschaftlichen, politischen – und auch künstlerischen! – Lebens von jenen authentischen Werten, von jenen starken vitalen Erfahrungen, mit denen sich Kunst seit eh und je beschäftigt. Es ist diese Haltung, die Wirklichkeit schafft, sei dies nun in der Kunst (im Kunstwerk oder im wirtschaftlichen, politischen und sonstigen Leben. Es ist jene Präsenz, die immer wieder die Brücke schlägt zwischen Idee und Welt. Unsere Gesellschaft neigt dazu, diesen eminent schöpferischen Prozess an die Kunst zu delegieren (und ihn dort von Fall zu Fall abzurufen). Diese komprimierte geistige Tätigkeit, diese scheinbar zwecklose Art der Auseinandersetzung mit den Dingen darf jedoch nicht nur auf die Kunst beschränkt bleiben. Vielmehr sollte jede ambitionierte berufliche Arbeit von diesem Hang zur „Kunst zu lieben“ getragen sein, und zwar derart, dass die einzelne Tätigkeit zum „Kunstwerk“ wird, d.h. von jener geistigen Haltung getragen ist, die auch der Künstler – und darin wohl beispielhaft – in sein Werk legt. Gerade diese Haltung – oder genauer: diese Präsenz ist es, die auf vielen Stufen unserer Wirtschaft immer wieder fehlt, jene Haltung, die kein Fächerkanon einer Business-School zu formen vermag, sondern nur auf eigenes Risiko und in eigener Verbindlichkeit in einzelnen Individuen langsam heranreift, vorerst scheinbar nutzlos, doch letztlich vergleichbar mit einem Gedanken des chinesischen Philosophen Laotse: Die Speichen am Rade sind zahlreich, aber erst das Loch in der Nabe, wo sie zusammentreffen, erst dieses leere Zentrum bringt den Wagen zum Rollen. Diese leere Zentrum bildet den Kern künstlerischen Schaffens – und letztlich wohl jeder passionierten Tätigkeit -, womit wir wieder bei der Eingangsfrage sind, was das Management von der Kunst lernen kann, diesmal die Antwort zufügend: das Wesentliche.