2006 SAN GOTTARDO ALS WASSERSCHLOSS EUROPAS

Referat Internat. Wassertagung Luzern 29. Juni 2006

Wasser: ein „Allerweltsthema“. Der Unerschöpflichkeit des Wassers als Reservoir kultureller Symbolik entspricht der Reichtum seiner physischen Erscheinungen: Die Quelle gründet den Fluss, der Fluss ergiesst sich ins Meer, das Meer zieht auf in den Himmel, im Himmel mischen sich die Wasser. So enthält das Wasser den Tod und gebiert das Leben. Wasser ist Prozess schlechthin: Wasser ist jene Substanz, aus der alle Dinge bestehen (und vergehen); es gibt keine Schöpfung aus dem Nichts:

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster in der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ –  so lauten die beiden ersten Verse aus der Genesis.

Wasser ist nicht nur eine alte mythische oder naturphilosophische Elementarität, nicht nur eine immer knapper werdende Ressource, es ist auch einer jener Schauplätze geworden, auf denen die Folgen technischer Umarbeitung des Erdraumes manifest geworden ist. Lassen sie mich das näher ausführen:

Natürliche Umwelten bestimmen den Kulturprozess insgesamt. Trinkwasservorkommen, Lage zu Flüssen und Meeren, Hydrometeorologie haben für die Entwicklung von Städten bis hin zur Machtpolitik im 21. Jt.  stets eine wichtige Rolle gespielt. Die historische Dynamik ist in erster Linie von Gesellschaften bestimmt worden, die eine Wasser- und Seekultur entwickelt haben. Im Kampf mit dem Wasser bildeten sich die heroischen Innovationen der Kultur: Verkehrswege, Technologien, Veränderungen der Raumstrukturen, Imperien bis hin zu den „Atlantik“- und „Pazifik“-Mächten.

Die Bedeutung derartiger Gegebenheiten wird heute als geostrategische Dimension analysiert. Eine solche Übersetzung von Natur in zweckrationale Politik- und/oder Ökonomiestrategien basiert jedoch auf einem reduzierten Verständnis des Stoffes Wasser. Sie ist letztlich Ausdruck der seit der Neuzeit praktizierten Trennung von Geist und Materie der Stoffe.  Dem war nicht immer so. Die Elemente Wasser und Erde hatten bis zur Beginn der Neuzeit in Naturphilosophie, Wissenschaft und Technik eine hochbesetzte Bedeutung. Durch die Verwissenschaftlichung der Elemente zu profanen Stoffen zum Zwecke technischer Naturbeherrschung (und die damit verbundene Auftrennung von Subjekt und Objekt) verblassen jedoch Magie und Mythologie des Wassers und der Erde. Die industrialisierten Gesellschaften haben den Bezug zum Wasser als einem Element des Lebens und der Kultur immer mehr verloren. 

Die moderne Wissenschaft orientiert sich nicht mehr am Symbolbegriff Wasser, sondern an Systembegriffen, d.h. an von Menschen geschaffenen synthetischen Welten (Formeln). Nicht mehr sinnlich wahrnehmbare Erfahrung, sondern instrumentelle, experimentelle Exploration wird jetzt generiert. Das Denken setzt sich so auf Distanz zu den über die sinnliche Wahrnehmung erfahrenen Bilder. Im "epistemologischen Bruch" (Foucault) wird das materielle Universum fortan nicht mehr als sprachliches, sondern als mathematisches, logisches Zeichen interpretiert und schafft damit die Voraussetzung zur Mechanisierung. So bildet etwa die Herstellung von Pumpen und Drucksysteme die Voraussetzung der Mechanisierung, dies erstmals im Bergbau. Die Technisierung von Wasser geht einher mit der Bändigung von Wasser und entspricht dem naturwissenschaftlichen Ansatz der Kontrolle über die Dinge, über die Natur. Wasser gerät unter Druck (im technischen wie im übertragenen Sinne).

Dennoch ist die kulturelle Selbstbildung des Menschen unmittelbar mit dem Wasser verwoben geblieben. Er ist immer Handelnder und Betroffener zugleich. Mitbestimmend bleibt die Physiognomie einer Kultur: grundlegende Raum- und Zeitvorstellungen, Wertkomplexe, Kultur und Riten, Religion, Kunst und Wissenschaft.

Was dabei jedoch heute grundlegend fehlt ist eine Grammatik, Semiotik und Imagologie des Wassers und dessen Geschichte. Das Wasser kann wohl letztlich nur durch eine Sprache angemessen verstanden werden, die jenseits positiven Wissens auf die Kraft der Imagination und der Erscheinungsformen des Wassers vertraut. Die Einbildungskraft und die Rekonstruktion der uns entgegentretenden Wassergeschichten ist möglicherweise eher in der Lage, eine Nähe zur Natur zu halten als jenes Wissens, das im Dienst zweckrationaler Naturbeherrschung steht. 

Ein konkretes Beispiel des  Umgangs mit der Thematik sind die beiden am Gotthard entstehenden Projekte, welche aus dem Umbau  militärischer Befestigungsanlagen entstanden sind.

Warum auf dem St.Gotthard?

Das Thema Wasser ist untrennbar mit dem Raum Gotthard verknüpft. Hier entspringen die vier Flüsse Rhein, Rhone, Reuss sowie Ticino und fliessen in alle Himmelsrichtungen. Das Wasser dieser Flüsse ist für die tiefer liegenden europäischen Ebenen von zentraler Bedeutung. Insgesamt 7°% des europäischen Trinkwassers haben hier ihren Ursprung. Aber auch für die Industrie und Landwirtschaft ist das aus dem Alpenraum stammende Wasser wichtig: Im Sommer, wenn die Niederschläge geringer und die Verdunstung hoch sind, speist das aus den Alpen abfliessende Wasser die grossen europäischen Ströme.

Der Gotthard wird auch als das Wasserschloss Europas bezeichnet. Der Begriff des Schlosses impliziert verschiedene Funktionen und Bedeutungen, die das Wasser für den Raum der Zentralalpen hat: Das Schloss als stattliches und repräsentativ gestaltetes Gebäude sowie das Schloss als Schliessvorrichtung. Wie ein Schloss, bewohnt von vermögenden und bedeutsamen Leuten, steht der Gotthard als majestätisches Bergmassiv im Herzen der Alpen, bewohnt von schier unerschöpflichen Wasserreserven im Untergrund des Gesteins – Wasser: ein kostbares Gut, eine knappe Ressource, die in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und in der Politik eine zentrale Rolle spielt. Einem Schloss gleich geht vom Gotthard eine Anziehungskraft aus, die Bewunderung, ja Faszination auslöst. 

Das Schloss als Schliessvorrichtung dient dem Abschliessen von Räumen und dem Einschliessen von Gegenständen unter Verwendung des passenden Schlüssels. Sie setzt einen Schlüssel voraus, mit dem der Zutritts resp. der Zugriff geregelt wird. Auch diese Funktion hat das Wasserschloss. Der Zugang zu Wasser kann allerdings nur begrenzt kontrolliert werden. Die weltweit ungleiche Verteilung von Wasser funktioniert dagegen als natürlicher Zugangsmechanismus, wobei die nördliche Hemisphäre über bedeutend grössere Vorkommen verfügt als die südliche.

 Gegenwärtig bin daran, aus dem ehemaligen Herzstück des schweizerischen Verteidigungssystems, dem sogenannten „Reduit“ einen grossen Themenpark zu den wichtigsten Aspekten von San Gottardo zu gestalten; zu Wasser, Klima/Wetter, Verkehr, Energie und Sicherheit. Der Ort soll 2008 eröffnet werden. Aus dem einst geheimen Bunker wird SASSO SAN GOTTARDO.

Zentrales Anliegen dieser Inszenierung ist es,  nicht nur das Wissen über Wasser, sondern auch das Vermögen zu entwickeln, dieses Wissen zum Material von Vorstellungen zu machen. 

So inszeniert SASSO SAN GOTTARDO das Thema Wasser in seinem Bezug zum Raum Gotthard und strebt damit gleichzeitig eine ganzheitliche Auffassung und Darstellung der Thematik an:

Wasser hat Herkunft: Der Gotthard als Wasserschloss und Ursprung des zivilisatorischen Wasserkreislaufs verleiht dem Ort eine grosse Symbolik. Die Frage nach der Herkunft des Wassers drängt sich hier in einem Mass auf wie kaum woanders. Wasser fliesst nicht einfach aus dem Hahn in Küche oder Badezimmer. Wasser hat Herkunft und ist Teil eines natürlichen Kreislaufes. Wasser ist zu vielfältig, als dass es nur als konsumierbares Alltagsgut behandelt werden könnte. 

Wasser als Kreislauf: Mit der Frage nach der Herkunft der Wassers taucht auch die Frage nach dem Wohin auf. Dieser zweite Aspekt von Wasser zeigt, wie die Gesellschaft mit Wasser umgeht und wie dieses genutzt wird. Dabei wird deutlich, dass sich das Verständnis und der Umgang mit dem Element Wasser im Laufe der Zeit verändert haben. Die Gelegenheit, Wasser in seinem natürlichen Kreislauf zu erfahren, ist heute kaum mehr möglich. Immer mehr Eingriffe werden in das natürliche System vorgenommen, um Wasser zu kontrollieren und zu nutzen. Flussläufe werden korrigiert, Wasser wird in Stauseen zwecks Energiegewinnung zurückbehalten, Wasser wird in Reservoirs gefasst, Wasser wird zur Bewässerung von Landwirtschaftsflächen Flussläufen und Seen entnommen – um nur einige Beispiele zu nennen, wie Wasser bezwungen und genutzt wird. Das Wasser als Teil eines Kreislaufs zu verstehen, ist ein zentrales Anliegen des Themen- und Forschungsparks SASSO SAN GOTTARDO.

Wasser als Ressource: Unser Bezug zu Wasser hat sich von einem natürlichen, integrativen Verständnis hin zu einer rein ressourcenorientierten Sicht gewandelt. Wasser wird heute selektiv wahrgenommen und immer stärker in seine verschiedenen Teilaspekte aufgegliedert. Obwohl unser Wissen über Wasser sehr umfassend und detailliert ist, wird die Thematik nicht mehr als Ganzes und in Bezug zum Kreislauf verstanden. Immer stärker tritt der Gedanke in den Vordergrund, Wasser zu beherrschen, zu überwachen und die Macht durch Zugang zu Wasser zu gewinnen.

Absicht des Wassergartens SASSO SAN GOTTARDO

Im Themenbereich Wasser wird dem Besucher in Form eines grossen Wassergartens tief im Innern des Berges gleichsam gegenübertreten und ihm die Möglichkeit geben, sich nach seinen Bedürfnissen auf die Thematik einzulassen. Wasser bewusst fühlen, unterschiedliche Qualitäten erfahren, das Zusammenspiel von Wasser, Licht und Fels erkennen, Wassergeräusche wahrnehmen – dies sind nur einige Aspekte, die sich dem Besucher des Themenparks mitteilen. In diesem grosszügig angelegten Wassergarten erlebt und erfährt er sie in unmittelbarer Weise.

Dadurch kann Wasser als Teil eines Kreislaufes und somit in seiner Gesamtheit bewusst an diesem symbolisch aufgeladenen Ort wahrgenommen werden. Der Erkenntnisgewinn beruht nicht auf rein intellektuellen oder technischen Zugängen, sondern versucht eine sinnliche Sprache des Wassers zu sprechen. Somit nähert sich der Besucher der Frage nach der Herkunft des Wassers und seines Kreislaufs über sinnliche Erfahrungen. Sie führen zum Aspekt der Funktion von Wassers als knappe Ressource. Der informative Teil des Themenbereichs Wasser wird dem Besucher dagegen über eine Datenbank zur Verfügung gestellt.

 Durch diesen bipolaren Umgang mit der Thematik Wasser soll nicht nur eine alte mythische oder naturphilosophische Elementarität wieder erlebbar gemacht werden, sondern auch das Verständnis für – letztlich immer komplexer werdende – Zusammenhänge geweckt werden.

Ich freue mich, wenn ich Sie heute wie morgen auf dem Gotthard begrüssen darf.