2011 BIOTOPE DER GIER UND DES KALKÜLS

(Ursprünglicher Arbeitstitel/Konzept für die spätere Ausstellung KAPITAL von Walter Keller im Schweizerischen Landesmuseum 2012) Eine Skizze



“In die Welt fahren wie die Kugel in die Schlacht” Heinrich Mann über Napoleon, in: Sloterdijk, Kapital p.111

ELEMENTE DER SZENOGRAFIE: A INTRO

Eine Treppe führt zu einem Podest, über dem ein Baldachin hängt (Baldachin = ital Bezeichnung für kostbare Seidenstoffe aus Bagdad, welche gerne für “Traghimmel” verwendet wurden). 

Darunter  – einer Monstranz auf einem Altar gleich – ein Abakus. Das Rechnen mit arabischen Zahlen (die im 12. Jt. eingeführte indisch-arabische Null) ermöglicht erstmals eine umfassende und praktische Arithmetik.

Dahinter sieht man auf ein Meer mit unzähligen Insel, im Hintergrund ein Horizont der Sehnsucht und des Verlangens. Die Seefahrt dient ab dem 15. Jt. Nicht mehr der rascheren Bedienung der Erde/Küsten, sondern der Erschliessung der Welt. Das Festland-Denken (Erd-Zentriertheit) ist zum Ozean-Denken geworden. Con-tinente umschliessen nicht mehr, sondern werden (vom  Meer) umschlossen. Die – fortan globalen – Angelegenheiten werden von einem maritimen Medium getragen, fortan fliesst das Kapital . 

“Hat man sich nicht ringsum vom Meere umgeben gesehen, so hat man keinen Begriff von Welt und von seinem Verhältnis zur Welt.” Goethe, 3. April 1787 in Palermo,  in: Italienische Reise.

Angesichts der beträchtlichen Risiken des “floatenden” Kapitaleinsatzes gewinnen Strategien der Diversifizerung an Bedeutung wie auch die Anfänge des Versicherungswesens  und seine mathematischen Grundlegungen  hier einsetzen. Die Assekuranz tritt an Stelle von Gottes Hand.

Ein neues Geschlecht von Risko-Bürgern entsteht: sie nehmen Kredite  auf, spekulieren mit schwimmendem Kapital und haben Tilgungstermine vor Auge.

Erdoberflächenwissen ist von nun an der Schlüssel zur Macht (und wird auch wie Staatsgeheimnisse oder Betriebspatente gehütet). Der Erdglobus – als zweite Monstranz neben dem Abakus – wird zum Bild der Geldquellen und ermöglicht den Europäern eine operable und umfassende Sicht auf die geopolitischen und weltgeschäftlichen Dinge (siehe den Globus im Eingang des ehemaligen Volkart-Handelshauses in Winterthur). Operativ sind es die Landkarten, die in immer präziser werdendem Massstab das Entdeckte sicherstellen, die Eroberung der ”Welt als Bild” (Heidegger) dokumentierend (bis hin in die Gegenwart in der All-Präsenz  als Hintergrundbild in den Nachrichtenstudios). 

Cuius carta, eius region. Wer die terra incognita benennt, eignet sie sich an, wird Eigentümer von zuvor scheinbar besitzlosen Eigentums. Die Europäer beanspruchten dabei das Vorrecht, ihre eigene Welt semantisch zu klonen und dergestalt die bisher unbekannten Punkte und Territorien sich anzueignen.

“Über allen Dingen steht der Himmel Zufall” (Nietzsche, Zarathustra, Vor Sonnenaufgang), dargestellt durch Fortuna. Diese wird nicht nur mit dem Glücksrad dargestellt, sondern ebenso mit den maritimen Emblemen des geblähten Segels und dem Steuerruder. Zum Glück gesellt sich ebenso Tüchtigkeit.

Der Glücksadel (Sloterdijk) wird den traditionellen Geburtsadel und Amstadel (und damit die bisherige Gesellschaftsordnung) inskünftig überflügeln und es wird nur wenige Jahrhunderte dauern, bis der Glücksadel die beiden letzteren in die Zuschauerränge verbannt (siehe u.a. BR Merz, der heutige europ. Adel). Mithin werden auch die Gesetze der Geschichte und der Ideologien ausser Kraft gesetzt und durch Bewegungsmoden substituiert wie Innovation, Nachhaltigkeit rsp. neuen Nationalismen (“Welfare chauvinism”), welche für ein Revival terrestrischer Haftung plädieren. Dadurch kann sich der Glücksadel vollends selbst verproviantieren. (vgl. Goethe: Der Handelnde ist immer gewissenslos.” S.p.114)

ELEMENTE DER SZENOGRAFIE: B FIRENZE  

Ein aktuell affines Beispiel der Überschichtung des Amtsadels durch den Glücksadel und den entsprechenden gesetzlichen und mentalen Formatierungen wird in Italien demonstiert.

In den Spiralen der Überschichtung verabschiedet sich am Ende der Staat zwangsläufig.

Historisch bedeutsam partiell die Medci in Florenz sowie in Nordeuropa ab dem 19. Jt. die Rothschilds (siehe die Bemerkung Heines, über die 3 terroristischen Namen Richelieu, Robespiere und Rothschild (F-82).

Auf der Unterseite des Baldachins sind Begriffe eingeritzt, welche auf die nautische  Basis allen GeldFLUSSES verweisen:

-       Floaten - Return on Invest -       Volatilität -       Geldfluss -       Geldquelle

ELEMENTE DER SZENOGRAFIE: C EXPEDITION

Der Besuch der Ausstellung gleicht denn auch einer Expedition. Die Expedition ist die Routineform des unternehmerisch motivierten Suchens und Findens: man “sticht in See”, erkundet unbekannte Territorien (Themen), sucht nach Errungenschaften (Begehren, Hab-Sucht, Gewinn), getragen von der Vorstellung nach etwas Besserem. Die Erde ist fortan nicht mehr in Gottes Hand, sondern soll vom (europäischen) Menschen erschlossen warden. Er schafft sich selber sein Glück und seine Zukunft im Spiel mit den sich bietenden Gelegenheiten.

Der Akt der Entdeckung umfasst

-       Sichtung -       Landung -       Inbesitznahme -       Benennung -       Kartierung -       Beurkundung

und ist damit weit mehr als nur ein erkenntnistheoretischer Anspruch. Er ist viel mehr das Pfandsubstrat der riskierten Expedition. Das Beutemachen garantiert den “return on invest”.

Diese als Entdeckungen getarnte Opportunities bilden einen Sonderfall des Phänomens Investieren. Investieren ist wiederum Ausdruck eines Risikohandelns. Es bildet einen Cluster, der über ein breites Handlungsspektrum gebietet:

-       Kredit nehmen -       Investieren -       Planen -       Erfinden -       Wetten -       Sich Rückversichern -       Risiken streuen -       Rücklagen bilden

Mit dem Ausleihen von Geld zwecks Investieren beginnt die (zunehmend globale) Maschinerie der Geldumwälzung. Schuld ist nicht mehr moralisches Makel sondern wird positiv gedeutet als ökonomisch sinnvolles Anreizverhältnis.

In der Expansion eröffnet sich ein Zeitprivileg im Zugang zu “Neutechniken” und “Neuwahrheiten” (siehe auch Schumpeter mit seiner funktionalen Differenzierung von “Neuerer” und “Nachahmer” und aktuell in der Praxis die IT-Entwicklungen und Produkte der jüngeren Finanzmathematik).

Wegweiser führen zu den Inseln. Diese sind nach Proverbs benannt:

-       Wenn ich einmal reich wär…

-       Pas d’argent, pas de Suisse

-       Schwimmen im Geld (Dagobert Duck)

-       Money makes the world go round

-       Diamonds are a girl’s best friend

-       Schaden macht klug, Schulden klüger

-       Zeit ist Geld

-       Was ist die Plünderung einer Bank gegen die Gründung einer Bank?

-       Ein reicher Mann ist ein armer Mann mit viel Geld

-       Bei kleinen Schulden hat der Kunde ein Problem, bei grossen die Bank

-       Schlechtem Geld wirft man nicht gutes hinterher.

 

ELEMENTE DER SZENOGRAFIE: D INSELRÄUME

“Die Hand greift nach dem, was das Auge gesehen hat.” (Sprichwort der Ewe in Ghana) Die einzelnen Inselräume handeln – im Sinne von Benennungen, die die Eroberung der Welt möglich machen – von:

-       Venedig (die monetarische Wende zur Neuzeit: nicht mehr die Sonne dreht sich um die Erde, sondern das Geld dreht sich fortan um die Erde)

-       Die Bank

-       Bankrupt

-       Risk and Return (“the exceptions can kill you”)

-       Shareholder

-       Vom Zählen

-       Wucher

-       Zinsen

-       Rente

-       Staatsfonds

-       Hedge Funds

-       Derivate

-       Strukturierte Produkte

-       Staatsbankrott

-       Leitzins, Zins und Zinseszins

-       Renten

-       Kaffeehandel (Warentermingeschäfte)

-       Traders, Groupiers, Rentiers, Gläubiger und Pleitiers (Panorma der Geldberufe)

-       Eigenkapital und Fremdkapital

-       Wechselkurse

-       Ratings

-       Geld versus Kapital

-       Menschsein als Frage der Kaufkraft

-       Fortuna

-       Piraten und Abzocker

-       Das Sparschwein

-       London

-       Hafen oder Tod

-       Raus aus den Aktien – rein in die Landwirtschaft

-       Rentenmarkt

-       Staatschulden

-       Mr. Bond (Anleihe)

 EINTRITT IN DIE AUSSTELLUNG:

Es gibt zwei Arten von Tickets:

-       Consumer Ticket -       Investor Ticket

Consumer Tickets sind normale Tickets. Investor Tickets ermöglichen es, durch geschickten Umgang in der Ausstellung ein Investor Certificate zu erwerben sowie einen Return on invest  zu erspielen (entrance fee).

ZWEI GROSSE POLE (INSELREICHE):

 A Erschliessung aller Räume und Ressourcen

Amsterdam und Venedig als monetarische Wende zur Neuzeit: nicht mehr die Sonne dreht sich um die Erde, sondern das Geld dreht sich fortan um die Erde). 

Als dritte Stadt, sozusagen als Inthronisation der Globalisierung: London

B Räume und Ressourcen sind beschränkt – die Gier ist unbeschränkt

Sind die realen Räume und Ressourcen erschöpft, wachsen sie im Virtuellen weiter. 

Märchenhafte Einkommensmehrung

Viele toben über die bösen Banker. Dann nehmt doch euer verfluchtes Geld und stopft es unter die Matratze, statt es den Banken zu überlassen. Aber nein, dafür seid ihr zu faul. Ebanking, Zahlungsverkehr, Interneteinkäufe, bargeldlos bezahlen...Auf diesen Luxus wollt ihr nicht verzichten. Ihr seid doch alle nur neidisch. Würdet ihr selbst auf einer Bank arbeiten, würdet ihr den Lohn auch ohne Gemecker einsacken. Ihr seid auch nur Menschen und somit grundlegend falsch und gierig.

 

Jahrzehntelang galt auch in den USA die Regel, dass der oberste Chef nicht mehr als das 20- bis 30-fache eines gewöhnlichen Arbeitnehmers verdient. Von 1936 bis 1979 waren das, in Preisen des Jahres 2000 gerechnet, gut eine Million Dollar. In den achtziger Jahren ging die Summe rauf auf 1,8 Millionen, in den Neunzigern dann raketenartig auf 4,1 Millionen und von 2000 bis 2005 auf 5,2 Millionen. Inzwischen lässt sich ein CEO, nun allerdings in heutigen Preisen, durchschnittlich 15,6 Millionen Dollar überweisen.

Es waren Ökonomen aus der amerikanischen Wissenschaft, die mit wohlgefälligen Thesen den Managern den Weg in die grenzenlose Selbstbedienung bereiteten. Das finanzielle Interesse der Unternehmen, so die Botschaft in den Achtzigern, sollte identisch gemacht werden mit dem Interesse ihrer Führungskräfte. Zu diesem Zweck erfand man die Aktienoptionen: Manager bekommen das Recht, Aktien zu dem Preis zu kaufen, zu dem die Papiere am Tag der Options-Gewährung an der Börse gehandelt wurden; wenn der Kurs danach steigt, ist die Differenz zwischen Ausgabekurs und Verkaufskurs der Gewinn des Managers.

Im Börsenrausch der achtziger und neunziger Jahre und mit allerlei Tricks gehandhabt (beispielsweise: Manipulation des Ausgabedatums) sorgten die Optionen zu einer märchenhaften Einkommensmehrung vieler Vorstände. Nicht wenige Chief Executives gingen mit mehreren hundert Millionen Dollar Vermögen in den Ruhestand.